Autor: Oliver Pastor

 

Das Modul „Trainerwerkstatt“ beruht auf fast permanenter Interaktion mit den Teilnehmern.
Nun, an Corona Tag 30 ist aber an Präsenzunterricht leider nicht zu denken. Also online??
Aber kann in einem Online-Kurs überhaupt die nötige Flexibilität für dieses Modul gegeben sein? Ist es unter diesen Umständen tatsächlich möglich und sinnvoll, diesen Kurs remote durchzuführen?

Um es vorwegzunehmen, JA IST ES!

Die anfängliche Skepsis wich recht schnell, da es unserer Dozentin sehr gut gelang, die Teilnehmer dazu motivieren, ihr passives Lernkonsumverhalten zu verlassen (an ein zunächst angedachtes gemütliches zweites Frühstück war nicht zu denken 😊).

Dies gepaart mit einer Lernatmosphäre, die es den Teilnehmern erlaubte, das Online Seminar positiv anzunehmen, ließen erstaunlich schnell alle Zweifel verschwinden.
Im virtuellen Raum kam recht schnell „Campus-Atmosphäre“ auf, was für den Zusammenhalt der virtuellen Lerngruppe sehr förderlich war.

Unter der Beachtung von vorab definierten Online (Kommunikations-)Regeln verlief die Kommunikation und Interaktion recht reibungslos. Die Teilnehmer konnten bei etwaigen Irritationen unmittelbar Rückfragen stellen. Break-out Sessions in Kleingruppen in virtuellen Räumen – bspw. zur Bearbeitung von Use Cases – waren über problemlos möglich.

Überdies bringt „online“ tatsächlich auch einige Vorteile mit sich, wie z.B.

– Erwerb wichtiger Online-Kompetenzen als künftiger „Online-Trainer“
– Sämtliche Dokumente sind gebündelt digital verfügbar
– Sofortige Archivierung von Arbeitsunterlagen per Screenshot möglich
– Schnelle und unkomplizierter Austausch und Vernetzung von Lerngruppen über Webconferencing
– Erlernen des Umgangs mit wichtigen Online-Tools zur Kollaboration
– Keine Reisekosten und weitaus geringerer Zeitaufwand

Kann ich interaktives Online-Training also trotz erheblicher anfänglicher Zweifel empfehlen?
Ja, aber nur solange das Training didaktisch und methodisch sinnvoll auf die Online-Umgebung abgestimmt ist, damit die Teilnehmenden effektiv und mit Spaß lernen können – und dies war hier absolut der Fall!

Autorin: Tanja Knob

Die Corona-Krise zeigt uns, wie gut wir in der Lage sind, Veränderung als Bestandteil unseres Lebens anzuerkennen: Eigentlich war es schon zu Jahresbeginn spürbar, das Gefühl, dass etwas Großes auf uns zukommt. Irgendwann im Februar begann die leise Ahnung, dass Corona unser Leben fortan auf den Kopf stellen wird. Die Vorahnung entwickelte sich zunächst recht schleichend zur Wirklichkeit, in kleinen Schritten, um kurz darauf in einem Big Bang zu münden: LOCKDOWN. Nichts geht mehr. Als ob eine überdimensionale Gouvernante das Kollektiv anbrüllte: „Sofort alle aufs Zimmer und nachdenken, was ihr angestellt habt!“ Was bitte? Maschinenstopp von jetzt auf gleich? Was tun? Wie machen wir weiter? Können wir überhaupt weitermachen? Wenn ja – dann wie? Fragen über Fragen, die manche zunächst in die Schockstarre katapultierten. Andere wiederum ergriffen sofort die Initiative und gingen umgehend in den Lösungsmodus über. Da wurden Krisenpläne geschmiedet, Ideen gewälzt, geschaut, wo Not am Mann ist oder auch einfach nur „notgebunkert und gehamstert“. Jedem das seine…

Was für viele Menschen als revolutionärer Wandel von statten ging, stellte sich in der Acus Akademie jedoch ganz anders dar – eher evolutionär – in einem zugegebenermaßen beschleunigten Tempo. 

Klingt komisch, ist aber leicht zu erklären. Denn: In weiser Voraussicht hat sich die Geschäftsführung bereits seit Ende 2019 mit den bislang vorliegenden Informationen auseinandergesetzt und beschlossen, eine Risiko-Planung vorzunehmen im Sinne von „in the unlikely event of…“. Das zahlte sich schließlich aus. Für die Teilnehmer natürlich und ebenso für uns Dozenten/innen. Bereits zwei Wochen vor dem kollektiven LOCKDOWN stellte die Geschäftsführung um. Lehrräume und Dozenten wurden ausgestattet – mit Hardware, Software und nicht zu vergessen: mit den relevanten Soft facts. Denn es galt vor allem auch erst einmal Ängste zu nehmen und Emotionen zu managen. Auch die

Zulassung zur Umstellung auf alternative Lernformen wurde umgehend beantragt.

Zudem wurden alle Dozenten/innen kurzfristig darauf vorbereitet, ab sofort Präsenzunterricht mit Remote zu kombinieren. Wir waren demnach bestens vorbereitet und bereits trainiert, als der Präsenzunterricht dann schließlich endgültig eingestellt werden musste.

Das Trainieren und Lernen jedoch ging und geht weiter. Von Woche zu Woche kommen neue Erkenntnisse hinzu. Zu den bisher wichtigsten Hinweisen für einen gelungenen Remote-Unterricht zählen vor allem diese:

  • Wichtige „Regie-Anweisungen“ und Spielregeln gleich zu Beginn geben
  • Intensivere Vorstellungsrunde, um den Menschen Raum zu geben, sich zu zeigen und einzubringen
  • Hoher Methodenmix, maximal 5-10 Minuten frontal vortragen, Powerpoint meiden
  • Nach jedem Vortrag eine Einzel- oder Gruppenübung durchführen
  • Chaträume vorher! anlegen oder Gruppenfunktion bei Zoom nutzen
  • Häufiger Feedbacks einholen und dieses in den Chat schreiben lassen, anstatt es abzufragen
  • Puffer einplanen für technische Bugs oder Schwierigkeiten mancher Teilnehmer, in den Raum zurückzufinden
  • Geduld, Toleranz und Respekt zeigen – nicht jeder ist „digital native“

Die weise Voraussicht und auch die tägliche Mühe lohnt sich. Wir haben alle davon profitiert – Teilnehmer/innen und Dozenten/innen. Denn gemeinsam auf diese Weise durch die Krise zu gehen hat uns nicht nur viele neue Erfahrungen und Wissen eingebracht, sondern uns auch in der Gemeinschaft ein Stück weit mehr zusammengeführt.
Nicht zuletzt war und ist es für uns alle eine wunderbare Möglichkeit, gemeinsam und mit- und voneinander zu lernen, mit der Veränderung zu leben.

Autorin: Tanja Knob

Corona hat viele Prozesse beschleunigt. Stand noch vor einem Viertel Jahr das Thema Home-Office bei vielen Unternehmen auf der „Ausnahme-Liste“, so ist es mittlerweile für viele Branchen zum überlebensnotwendigen Mittel avanciert. So auch im Weiterbildungsbereich.

Wer unter den Anbietern schnell und flexibel war, stellte umgehend um auf „Digitales Lernen“. Und jene, die darüber hinaus didaktisch versiert sind, haben im besten Falle sämtliche Inhalte umgestellt auf einen Methoden-Mix, der es allen Beteiligten ermöglicht, die Aufmerksamkeitsspanne länger als über 1,5 Stunden hinaus aufrecht zu erhalten. Der Schlüssel zum effektiven digitalen Lernen: Noch mehr Angebot an Interaktion und Partizipation. Und eben nicht zu versuchen Präsenztrainings 1:1 in virtuelle Trainings zu übersetzen. Ein Beispiel:  Was im Präsenz-Unterricht o.k. ist – 15-20 min. Trainerinput ist im virtuellen Klassenzimmer ein absolutes „No-Go“. Hier sind Lehrkräfte mehr denn je gefordert, komplexe Inhalte in Häppchen zu strukturieren und neue Wege zu finden, diese kurzweilig zu vermitteln. Ob hierbei Flipcharts oder digitale Collaboration-Tools zum Einsatz kommen, ist zunächst sekundär. Viel wichtiger ist es, die Teilnehmer schnellstmöglich an das neue Setting zu gewöhnen, ihnen den Einstieg in die neue technische Umgebung zu erleichtern und darauf zu achten, dass sie sich wohlfühlen mit den neuen Spielregeln. Erst dann geht es darum, die avisierten Lernziele auf das neue Setting zu projezieren und kreativ zu werden bei der Umsetzung.

Nach über drei Monaten Umstellung auf virtuelle Klassenzimmer ist es erlaubt, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen zum Für und Wider digitalen Lernens. Das Fazit sowohl auf Teilnehmer als auch auf Dozenten-Seite ist wenig überraschend: Digitales Lernen birgt jede Menge Chancen im Sinne von Fokus und dem Erlernen neuer Fähigkeiten bzw. Kompetenzen. Gleichzeitig ist es nicht frei von Nebenwirkungen wie zum Beispiel leichte Ermüdungserscheinungen, die sich nach der Intensität der letzten drei Monate schleichend bemerkbar machen. Kein Wunder. Denn bei aller geschickter und noch so ausgeklügelter Didaktik fehlt uns etwas, wenn wir einen persönlichen Austausch nur virtuell führen können. Offenbar macht es einen Unterschied für unser Gehirn, ob wir uns mit Menschen in einem realen oder in einem virtuellen Raum befinden, denn Gestik und Mimik sind nicht 100% erfassbar, und wir können unsere Sinne über den Monitor somit nur eingeschränkt einsetzen. Deshalb freuen wir uns alle sehr, wenn wir unter gewissen hygienischen und präventiven Auflagen wieder zurückkehren können zum Präsenztraining. 

Was wir in die Welt nach der Krise mitnehmen: Die beschleunigte Umstellung auf virtuelle Klassenzimmer und Zusammenarbeit hat uns eine immense Kompetenzerweiterung beschert. Zudem hat sie aufgezeigt, dass es sinnvolle und nützliche Alternativen gibt zu den ressourcenintensiven Geschäftsreisen. Deshalb werden digitales Lernen, Homeoffice und Teleworking in Zukunft gewiss ihren festen Platz in der neuen Arbeitswelt einnehmen. Nicht zuletzt, weil Unternehmen auf den Geschmack gekommen sind. Denn diese neue Form der virtuellen Zusammenarbeit spart nicht nur Zeit und Geld, sondern auch persönliche Ressourcen. Inwieweit sich daraus ein nachhaltiger Zugewinn an Lebensqualität entwickelt, der sich positiv auf unsere Arbeitsleistung auswirkt, wird sich zeigen. Bis dahin lernen wir einfach weiter…

Autor: Patric Hohl

 

Ob digitale Transformation oder Pandemie, die schnellen Veränderungen im Umfeld -Technologien, Märkte, Konsumenten, politische Regelungen…- rufen nach notwendigen Anpassungen der Unternehmen zum Überleben. Change-Management ist gefragt und dafür müssen Menschen zielgerichtet, gemeinsam, motiviert und flexibel in Aktion treten. Eine gute Antwort zu „VUCA Zeiten“ (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) sind:

VUCA Teams (Vision driven, United, Commited, Agile)

Vision driven: Ein gleiches Bild der Zukunft ist unabdingbar, damit alle in die gleiche Richtung arbeiten. Das Ziel muss Sinn ergeben und das „WOZU“ klar für jeden sein.

United: Starke Teams sind sich eins und halten zusammen. Sie haben anspruchsvolle Gespräche und Meinungsverschiedenheiten werden als Bereicherung gesehen. Kohäsion wird über gemeinsame Werte und Kultur geschaffen. Vertrauen breitet sich aus.


Commited: Aus Haltung wird Handlung. Verantwortung für sich selber und andere übernehmen. Ziel und Sinn orientiert sein. Seinem Wort treu bleiben. Ein Verhalten, welches Überzeugung, Vertrauen und Engagement säht, erntet Anerkennung und Erfolg.

Agile: Flexibilität im Denken hilft das Unvorhergesehene zu akzeptieren und schneller in den Lösungsmodus zu kommen. Vertrauen und Offenheit stärken das Wissen und „mehrere Wege führen nach Rom“. Resilienz ist die neue Agilität.

Autor: Markus Friedrichs

 

Navigation im Nebel: Wie Sie sich auf die Zukunft vorbereiten können, während die ganze Welt auf Sicht fährt

Die Nordsee, irgendwo zwischen Schottland und Dänemark. In einem der ersten gewaltigen Herbststürme kämpft sich ein Tanker nachts durch die aufgewühlte See. Die Wellen brechen über den Bug wie kollabierende Wände aus Wasser. Das Schiff scheint trotz seiner imposanten Größe durch den Seegang zu tanzen. Auf der Brücke herrscht beeindruckende Routine. Kapitän und Crew sind ein eingespieltes Team, wenige ruhige Wortwechsel signalisieren Kontrolle und Beherrschbarkeit der Situation. Eine Vielzahl von digitalen Informations- und Navigationssystemen steuern das Schiff sicher durch den Sturm. Die Wetterlage wird in Echtzeit auf den eigenen Bildschirmen aktualisiert, exakte Vorhersagen ermöglichen eine ständige Anpassung des Kurses.

Dann, plötzlich, eine Explosion an Bord. Völlig unerwartet schalten sich mit einem Stromausfall auch die wichtigsten Systeme ab. Das Schiff treibt für Minuten ohne Steuerung durch die schwere See. Nach kurzer Zeit gelingt es der Crew, Maschinen und Steuerung über ein Notsystem zu starten. Die wichtigen Navigationssysteme aber versagen. Scheinbar blind treibt das Schiff durch Sturm und Dunkelheit. Was ist zu tun?

Ereignisse wie diese gehören leider auch heute noch zum größten Risiko der Schifffahrt. Zwar werden Steuerungs- und Navigationssysteme immer sicherer und redundanter. Gleichzeitig steigt aber die Anfälligkeit neuer Supertanker und Kreuzfahrtschiffe, die bei einem Ausfall der Systeme schnell zu blinden Riesen werden.

Ein Phänomen, das nicht nur bei spektakulären Schiffshavarien zu beobachten ist. Unsere Welt ist mit Digitalisierung und Informationssystemen zu einem scheinbar beherrschbaren und vorhersehbaren Ort geworden. Vernetzung und ständiger Datenaustausch vermitteln uns das Gefühl der Kontrolle. Zu jeder Sekunde werden weltweit sieben Terabit Daten verarbeitet, das entspricht circa 230 Millionen beschriebenen DIN-A-4-Seiten, ein Stapel von knapp 25 Kilometern Höhe. Doch trotz aller Möglichkeiten für sichere Planung, Vorhersage und Steuerung, die sich daraus ergeben, trotz einer zweifellos steigenden Stabilität unseres Lebens seit vielen Jahrzehnten findet sich gerade die (neue) digitale Welt überraschend häufig in Situationen wieder, in der ebenso plötzlich wie auf dem oben beschriebenen Schiff alle  Systeme versagen. Die Folge: Wir müssen uns auf unseren großen sicheren Supertankern ziellos durch den Sturm bewegen.

Finanz- und Terrorkrisen waren Vorboten einer neuen Dimension der Verunsicherung für eine Welt, in der alles sicher und planbar erscheint. Aber es waren schwache Glaubenskrisen im Vergleich zu der fundamentalen Erschütterung der datengetriebenen Sicherheitstheoreme durch die derzeitige Corona-Pandemie. Dabei war diese Pandemie alles andere als ein „schwarzer Schwan“, eine Bezeichnung von Risikoanalysten für ein Ereignis, das extrem unwahrscheinlich ist, weil es sich so noch nie ereignet hat. Epidemische und pandemische Ausbrüche von Krankheiten begleiten die Menschen seit Jahrtausenden. Und selbst das Szenario der weltweiten Verbreitung eines gefährlichen Coronavirus wird bereits seit Jahren untersucht, zuletzt im Herbst 2019 durch die Melinda und Bill Gates-Stiftung, mit erschreckend hoher Übereinstimmung zu den jetzigen Ereignissen.

Also: Hier ist kein schwarzer Schwan plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Und trotzdem erscheint uns die momentane Krise wie ein Erdbeben, das plötzlich den Boden unter uns zum Beben bringt. Verdutzt reiben wir uns die Augen und fragen, warum uns kein digitales Frühwarnsystem rechtzeitig gewarnt hat. Vor allem aber stehen wir ratlos und ohne verlässliche Vorhersage dazu, wie dies alles ausgehen wird, vor der Aufgabe, in die Zukunft zu steuern.

Wege zur Lösung der Zukunftsbewältigung führen erst einmal über die Erkenntnis, dass Ereignisse wie die derzeitige Pandemie sich nicht trotz der neuen Möglichkeiten der dauerhaften Vernetzung unserer Welt ereignen, sondern sie werden durch genau diese Vernetzung erst ermöglicht. Digitalisierung und Globalisierung gingen in den vergangenen Jahrzehnten Hand in Hand, und sie haben unsere Welt tiefgreifend verändert. Unsere ständig vernetzte Welt hat uns anfälliger gemacht für alles, was sich darin schnell verbreiten kann – Verschwörungstheorien, Fakenews, Viren.  Vor allem aber ist unsere Welt: komplexer geworden. Zu komplex, als dass uns die alten Navigationssysteme noch sicher durch den Sturm führen können. In eine Welt des „Machine Learnings“, der „Predictive Analytics“ bricht ein Ereignis herein, das deutlich macht: All die Daten der Vergangenheit schaffen uns keine Sicherheit in der Frage, wie es morgen aussehen wird. Ebensowenig wie Jahrhundert-Daten von Wetteraufzeichnungen uns helfen werden, in einem Klimawandel das Wetter der nächsten Tage vorherzusagen, werden unsere Datenanalysen uns helfen, die unüberschaubare systemische Dynamik dieser Krise vorherzusagen. Die Wechselwirkungen sind zu zahlreich und respondierend, als dass auch das größte Cluster an Rechnern es simulieren könnte. Epidemiologen können aufgrund vergangener Pandemien Berechnungen anstellen – es bleiben simplifizierte Modelle, die sich nur berechnen lassen, weil man verzerrende Einflüsse herausrechnet. Aber in komplexen Systemen sind es genau diese Störfaktoren, die den Lauf der Dinge maßgeblich beeinflussen können. Und je größer die Komplexität, desto größer die Unberechenbarkeit.

Was also bleibt uns, wenn unser Navigationscomputer ausfällt? Wenn wir begreifen müssen, dass unser Schiff besonders anfällig ist, weil es sich ohne sichere Vorhersage gar nicht mehr steuern lässt?

Es sind Dinge wie Vorstellungsvermögen, Kreativität, Fantasie, die plötzlich wieder wichtiger werden. Wenn wir nicht exakt vorhersagen können, wie die Welt in einem Monat, einem Jahr aussehen wird, benötigen wir Methoden, um Möglichkeiten der Zukunft zu entwerfen. Modelle, die sich nicht an berechneter Wahrscheinlichkeit orientieren, sondern an der Frage, was möglich und plausibel ist. Es ist eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen, sich in die Zukunft zu denken. Vieles von dieser Fähigkeit haben wir in den vergangenen Jahren an die digitalen Instanzen übergeben, in der Annahme, diese könnten uns ein verlässlicheres Bild der Zukunft berechnen. Doch es zeigt sich, dass wir uns mit diesem Schritt eines großen Teils der Fähigkeit beraubt haben, eine extrem unsichere Zukunft zu bewältigen.

Denn auch das vermeintlich abwegige Denken in sehr unterschiedlichen Zukunftsszenarien hilft, uns bestmöglich auf eine große Bandbreite von Entwicklungen vorzubereiten. In vielen Urvölkern waren es die Schamanen, „Sehende“, die für ihre Gemeinschaft diese visionäre Kraft entwickelten – nicht selten unter Einfluss berauschender Drogen. „Ein Schamane ist jemand, der das Unsichtbare sieht, das Unhörbare hört, das Unfassbare begreift“, schreibt die Ethnologin und Schamanismus-Forscherin Hiah Park. Die Entfesselung des kreativen Vorstellungsvermögens, das Überschreiten von gewohnten Denkmustern war eine kulturelle Technik, die oft das Überleben gesichert hat. Viele Künstler haben genau hier ihren größten gesellschaftlichen Beitrag geleistet, indem sie – warnend oder inspirierend – ihre Version einer Welt von morgen skizziert haben.

Eine Rückbesinnung auf diese Möglichkeit zur Zukunftsbewältigung und Strategiefindung fand bereits in den 1940er Jahren statt. Damals entwickelte Herman Kahn, ein junger Analyst des US Militär-Thinktanks Rand Corporation, eine Technik zur Beschreibung von atomaren Bedrohungsszenarien mit Hilfe von kurzen Geschichten. Kahn wurde zu einem versierten Entwickler von Möglichkeiten der Zukunft – und der Scientific American beschrieb Kahns Talent als „das Undenkbare zu denken“. Kahn arbeitete zusammen mit Künstlern wie Stanley Kubrick, und der Drehbuchautor Leo Rosten schlug ihm vor, seine neue Technik „Scenarios” zu nennen. 

Im Kontext einer weiteren – ebenfalls neuartigen und unvorhersehbaren – Krise entwickelte sich die Arbeit mit Szenarien schließlich zum Standardrepertoire auch des unternehmerischen Handelns: der Ölkrise von 1973. Zum ersten Mal wurde der westlichen Welt die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und den Erdöl exportierenden Ländern schmerzhaft deutlich. Als Sanktion vieler arabischer OPEC-Länder gegen die Politik Israels führte die Ölpreiserhöhung auch in Deutschland zu dramatischen Folgen, die Wirtschaft brach ein, die Arbeitslosigkeit stieg an.

Um sich besser auf derartige globale Krisen vorzubereiten, entschied sich der Shell-Konzern, einen Thinktank zu gründen, in dem Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen Szenarien der Zukunft entwickeln. Shell-Stratege Pierre Wack und seine Kollegen entwickelten schon früh in Szenarien die Möglichkeit einer Machtverschiebung im arabischen Raum und konnten so den Konzern frühzeitig auf die Krise vorbereiten – übrigens entgegen den Einschätzungen und Vorhersagen vieler Industrieexperten.

Wie also kann uns die Szenario-Technik auch in der heutigen Krise helfen?

Zuerst einmal mit der Erkenntnis, dass es nicht um die Entwicklung einer einzigen und „richtigen“ Vorhersage der Zukunft geht. Szenarien sind entwickelt worden für eine Situation, in der es aufgrund von zu großer Komplexität und entsprechend hoher Unsicherheit keine Möglichkeit zur Vorhersage gibt. Die Arbeit mit Szenarien vermeidet daher bewusst, die Wahrscheinlichkeit der unterschiedlichen Szenarien zu berechnen, da dies sofort zu falschen Annahmen führen würde. Wahrscheinlichkeit wird oft abgeleitet aus den Beobachtungen der Vergangenheit – aber dies kann irreführend sein in Zeiten von bisher unbekannten Veränderungen. Stattdessen geht es in Szenarien um Plausibilität in Abgrenzung zu „Science Fiction“, also Möglichkeiten, für deren Erreichung noch Dinge passieren müssen, die zumindest aus heutiger Perspektive rein spekulativ sind. So haben z.B. aktuell manche Virologen die Entwicklung von Impfstoffen als „Science Fiction“ bezeichnet, da bis jetzt völlig offen ist, ob diese überhaupt gefunden werden.

Zweitens dienen unterschiedliche Szenarien immer dem Zweck, in der Formulierung von sehr gegensätzlichen Entwicklungen die volle Bandbreite von Möglichkeiten auszuloten. Sie sollen damit Entscheidern helfen, sich abseits der eigenen Meinung und des vielleicht zu pessimistischen oder optimistischen Denkens überprüfen zu können, inwieweit die eigene Organisation auf diese unterschiedlichen Versionen der Zukunft vorbereitet ist . Dabei vermeidet die Methode absichtlich, Szenarien als „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten, also „worst“ oder „best case scenarios“. Vielmehr geht es darum, Entwicklungen gleichwertig zu betrachten und anzuerkennen, dass es um plausible Möglichkeiten der Zukunft geht – und dass es aufgrund von systemischer Komplexität und Wechselwirkung von Faktoren oft schwer zu bewerten ist, welches Szenario am Ende „gut“ oder „schlecht“ ist.

Ihre größte Stärke entwickelt die Arbeit mit Szenarien in der visionären Kreativität der Ausgestaltung. Szenarien sind Bilder der Zukunft, die ein Reframing unserer heutigen Position ermöglichen und damit eine klare Handlungsanweisung zur Vorbereitung und Bewältigung formulieren lassen. Als Pierre Wack in den 1970er Jahren das Szenario eines neuen starken Iran formulierte, schien dies für viele Experten zu abseitig. Aber die plastische und stimmige Ausgestaltung dieser Entwicklung machte deutlich, dass damit zu rechnen war – und wie sich das Unternehmen auf die Situation vorbereiten könnte.

Für unsere heutige Zeit bedeutet es, sich zu fragen, welche Entwicklungen sind plausibel, wenn sie auch abwegig erscheinen?  Wie sind wir darauf vorbereitet? Wie können wir bei sehr entgegengesetzten Entwicklungen Pläne entwickeln, die auch für unterschiedliche Szenarien flexible Lösungen darstellen?

Mit diesem Denken durchdringen wir Nebel und Dunkelheit des Unvorhersehbaren. Wir nutzen die visionäre Kraft der menschlichen Vorstellungsgabe, um Schritte in die unsichere Zukunft vorzudenken – auch wenn sie uns abwegig erscheinen. Damit sind wir allen Maschinen überlegen. Denn diese können nur berechnen, was sich eigentlich nicht berechnen lässt. Der Mensch aber kann versuchen zu denken, was sich bisher nicht denken ließ. Und Lösungen für Probleme finden, die wir bisher nicht lösen mussten.

Weitere Infos zur Arbeit mit Szenarien: 

https://www.sbs.ox.ac.uk/programmes/oxford-scenarios-programme